Anfechtung einer Schiedsrichter-Entscheidung (Urteil)

Veröffentlicht am: 08.03.2012 von Holger Schröck in: Schiedsgericht » Urteile Drucken

Auf den Protest

der Stuttgarter Schachfreunde 1879 e. V.
Protestführer

gegen

die TG Biberach e. V. – Schachabteilung –
Protestgegner

hat das Verbandsschiedsgericht am 20.01.2012 durch Dr. Rolf Gutmann als Vorsitzenden und Alexander Häcker und Ute Jusciak als Beisitzer entschieden:

  1. Der Protest wird zurückgewiesen.
  2. Der Protestführer trägt die Kosten des Verfahrens.
  3. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Begründung:

Der Protestführer wendet sich gegen die Wertung des Oberligawettkampfs zwischen den Mannschaften beider Vereine am 13.11.2011. Beim Stand von 4 : 3 lief noch eine Partie. Beide Spieler hatten ihre Bedenkzeit nahezu erschöpft und weniger als 5 Minuten für die restliche Partie. Sie schrieben beide ihre Züge nicht mehr auf und der Schiedsrichter notierte die Züge. Nach Angaben des Schiedsrichters erklärte der Mannschaftsführer des Protestführers, „da beantragen wir remis (10.2)“, worauf der Stuttgarter Spieler die Uhr anhielt und Remis reklamierte. Nach Angaben des Protestführers habe der Mannschaftsführer sich an den Schiedsrichter gewandt und erklärt „Ist das nicht ein Fall der FIDE-Regel 10.2? Muss der Schiedsrichter nicht eingreifen?“

Der Schiedsrichter anerkannte die Remis-Reklamation nicht, sondern erklärte die Partei für den Stuttgarter Spieler für verloren und damit das Wettkampfergebnis zum 4 : 4. Seine anschließende Aufforderung an die Spieler, an einem separaten Brett die Züge zu vervollständigen, befolgte zunächst nur der Biberacher Spieler. Der Stuttgarter Spieler erklärte etwas später, am Brett stehend, er wisse die Züge eh nicht mehr. Er war nicht bereit, die fehlenden Züge auf seinem Partieformular nachzutragen und unterzeichnete sein Partieformular mit „1/2 Remis“.

Der Protestführer beruft sich insbesondere auf das Recht des Mannschaftsführers, seinen Spielern zur Abgabe oder Annahme eines Remisangebots zuzuraten. Sein Spieler habe die Uhr aus eigenem Antrieb angehalten, um seine Rechte nach Art. 10.2 der FIDE-Regeln wahrzunehmen.

Gründe:

Nach Behebung der formalen Mängel gemäß dem Beschluss des Verbandsschiedsgerichts vom 5.1.2012 ist der nunmehr schriftlich eingelegte Protest zulässig.

Der Protest ist jedoch nicht begründet. Zunächst ist festzuhalten, dass das Verhalten des Stuttgarter Mannschaftsführers grob ungehörig war, auch wenn man der Darstellung des Protestführers folgt. In der Zeitnotphase hatte er eine besondere Pflicht, die Züge mitzuschreiben (Art. 8.5 a) Satz 1 FIDE-Regeln). Von der Erfüllung dieser Pflicht hielt der Mannschaftsführer den Schiedsrichter ab.

§ 10 Abs. 1 c) WTO ermächtigt den Mannschaftsführer, seinen Spielern zur Abgabe oder Annahme eines Remisangebots zuzuraten, ohne dass damit eine Bewertung der Stellung verbunden sein darf. Er darf ihm also nicht unaufgefordert empfehlen, Remis zu reklamieren. Denn darin liegt eine Bewertung der Stellung. Er ist auch nicht berechtigt, eine Empfehlung so abzugeben, dass dabei der gegnerische Spieler gestört wird (vgl. Art. 12.6 FIDE-Regel). Gerade dies hat der Stuttgarter Mannschaftsführer mit seinem lautstarken Zuruf unternommen.

Im Verfahren Nusplingen gegen Balingen hat das Verbandsschiedsgericht entschieden:

„Die Bestrafung eines Spielers für ein Fehlverhalten eines Mitspielers, Zuschauers, Mannschaftsführers o. ä. findet weder in der Wettkampf- und Turnierordnung des Schachverbands Württemberg noch in der Turnierordnung des Schachbezirks Alb/Schwarzwald eine Grundlage. Für ein eigenes - aktives - Fehlverhalten des Spielers W. finden sich keinerlei Anhaltspunkte.

Auch die FIDE-Schachregeln sehen keine Bestrafung eines Spielers für ein Fehlverhalten eines Mitspielers, Mannschaftsführers oder Schiedsrichters vor. Insbesondere setzen die Verhaltensvorschriften des Art. 12 Abs. 1 und Abs. 3 FIDE-Regeln ein eigenes Tun des betroffenen Spielers voraus.“

Daran wird festgehalten und ebenso an der dort getroffenen Aussage, dass ein solcher Wettkampf wie vorliegend nicht nur ein Wettkampf zweier Spieler ist, sondern zweier Mannschaften. Aus anderen Wettkampfarten ist bekannt, dass Mannschaften nicht nur für das Fehlverhalten ihrer Spieler bestraft werden können, sondern auch ihrer Anhänger. So kann erst recht vorliegend in entsprechender Anwendung von Art. 13.4 und 13.6 der FIDE-Regeln wegen des Fehlverhaltens eines Mannschaftsführers ein Punkteabzug verhängt werden. Hiernach ist die Bewertung des Mannschaftskampfes mit einem 4 : 4 nicht zu beanstanden.

Bei der Frage, ob die letzte offene Partie noch mit einem Remis bewertet werden konnte oder zu Lasten des Protestführers als unentschieden zu werten war, erschien es dem Verbandsschiedsgericht als nicht glaubhaft, dass der Stuttgarter Spieler aus sich heraus ohne den Zuruf seines Mannschaftsführers genau in diesem Zeitpunkt ebenfalls remis beantragt hätte. Die Lebenserfahrung widerspricht dieser Behauptung und lässt sie als Schutzbehauptung erscheinen. Hiernach ist der Partieverlust gemäß Art. 12.3 a), 12.7, 13.4 d) der FIDE-Regeln durch Inanspruchnahme eines Ratschlags eines Dritten gerechtfertigt.

Hiernach konnte der Protest keinen Erfolg haben.