zu Artikel 10 der FIDE-Regel

Veröffentlicht am: 21.02.2011 von Holger Schröck in: Schiedsgericht » Urteile Drucken

In der Berufungssache

……………… - Berufungsführer (Bf.) -

beteiligt:

  1. Schachverein ………., vertreten durch den Vorstand (Bet. Ziff. 1)
  2. Mannschaftsführer und Schiedsrichter der in der Bezirksliga startenden Mannschaft der Schachabteilung ..…….., zugleich Vorsitzender der SAbt ……... (Bet. Ziff. 2)

wegen Feststellung, dass eine vom Bf. gespielte Partie hätte „remis“ gewertet werden müssen, hat das Verbandsschiedsgericht durch Dr. Friedrich Gackenholz als Vorsitzenden und Ute Jusciak und Michael Schwerteck als Beisitzer am 9. Februar 2011 entschieden:

  1. Die Berufung wird zurückgewiesen.
  2. Eine Berufungsgebühr wird nicht erhoben.

GRÜNDE

1. Der Bf. begehrt die Feststellung, dass seine im Mannschaftskampf des SV ……….. (Gastmannschaft) in der Bezirksklasse am 15. 11. 2010 gespielte Partie gegen die Mannschaft der SAbt ……. ..(gastgebende Mannschaft) hätte „remis“ gewertet werden müssen. In der Partie hielt der Bf. (mit Weiß) elf Sekunden vor Ablauf der regulären Spielzeit die Schachuhr an, rief den Bet. Ziff. 2 herbei und beantragte, die Partie „remis“ zu geben.

Die Stellung war zu dem Zeitpunkt: Weiß Ka4, Lf7; Schwarz Kb2, Se1, Ba3. Der Bet. Ziff. 2 entschied, die Partie weiterzuspielen. Nach wenigen Sekunden überschritt der Bf. die Zeit; die Partie wurde als für ihn verloren gewertet.

Den vom Bf. gegen die Wertung erhobenen Protest wies der Bezirksspielleiter zurück. Das dagegen angerufene Bezirksschiedsgericht des Bezirks …….. ..(nachfolgend: BSG) wies den Protest des Bf. mit Schiedsspruch vom 3. 1. 2011 als unzulässig zurück.

Das BSG stellte zwar fest, dass die Stellung im Zeitpunkt der Reklamation des Bf. objektiv remis war. Außer wenn der Bf. einen groben Fehlzug mache, sei die Partie mit Schwarz nicht zu gewinnen. Ein solcher Fehlzug sei aber angesichts der Spielstärke des Bf. auszuschließen. Der Bet. Ziff. 2 habe daher eine falsche Entscheidung getroffen; das BSG weist ausdrücklich auf die Möglichkeit nach Art. 10.2 b) der FIDE-Regel hin, die Entscheidung aufzuschieben und erst nach Beendigung der Partie zu entscheiden, ob eine Remis-Stellung vorgelegen habe.

Das ändere aber nichts daran, dass die Entscheidung des Bet. Ziff. 2 weiterzuspielen, nach Art. 10.2 d) der FIDE-Regeln endgültig und nicht mehr angreifbar sei. Der Bf. hat mit Schreiben vom 12. 1. 2011 gegen die Entscheidung des BSG Berufung eingelegt. Der Vorstand der Bet. Ziff. 1 habe ihn dazu ermächtigt. Er ist der Auffassung, eine rechtswidrige Schiedsrichterentscheidung müsse überprüfbar sein. Das BSG habe aus Art. 10.2 b) der FIDE-Regeln, wonach der Schiedsrichter verpflichtet sei, die Remis-Stellung nach Beendigung der Partie zu überprüfen, nicht die richtige Schlussfolgerung gezogen. Der Bf. verweist ferner auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes. In anderen Sportarten, in denen Schiedsrichterentscheidungen unanfechtbar seien, wie im Fußball oder Handball, sei die Situation anders. Im vorliegenden Fall gehe es um eine spielentscheidende Entscheidung des Schiedsrichters. Der Mannschaftsführer einer gastgebenden Mannschaft, der nach der Turnierordnung zugleich Schiedsrichter sei, könne nie als vollständig unbefangen angesehen werden.

Der Bf. beantragt,

den Schiedsspruch des BSG zu ändern, seine Partie als remis zu werten und damit die Brettpunkte seiner Mannschaft in dem Kampf gegen die SAbt …….... um 0,5 Punkte zu erhöhen.

Der Bet. Ziff. 2 hat mit Schreiben vom 29. 1. 2011 Stellung genommen. Er halte an seiner Entscheidung fest; er habe sie mit dem Mannschaftsführer der Gastmannschaft abgestimmt. Da noch ein Bauer auf dem Brett war, sei eine Remis-Stellung im Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht ersichtlich gewesen. Er räumt ein, die komplizierten Regelungen des Art. 10.2 der FIDE-Regeln mit den verschiedenen Alternativen seien ihm im Detail nicht bekannt gewesen.

2. Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das BSG hat den Protest des Bf. zu Recht abgewiesen.

a) Das Verbandsschiedsgericht folgt den Ausführungen des BSG, dass die streitige Stellung im Zeitpunkt des Antrags des Bf. tatsächlich objektiv remis war. Die Feststellung des BSG, der Bet. Ziff. 2 habe eine falsche Entscheidung getroffen, als er das Weiterspielen anordnete, wird geteilt. In der Entscheidung lag zugleich die Ablehnung des Antrags des Bf. nach Art. 10.2 a) der FIDE-Regeln.

b) Die Entscheidung des BSG, unter Anwendung des Art. 10.2 d) der FIDE-Regeln, wonach die Entscheidung des Schiedsrichters endgültig ist, den Protest zurückzuweisen, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Verbandsschiedsgericht folgt dem BSG auch darin, dass der Umstand, der Schiedsrichter habe Art. 10.2 b) der FIDE-Regeln nicht herangezogen, hinsichtlich der Anwendung des Art. 10.2 d) der FIDE-Regeln zu keinem anderen Ergebnis führt.

Ob der Protest dabei „unzulässig“ oder besser „unbegründet“ war, ist für das Ergebnis unerheblich. Das Verbandsschiedsgericht teilt auch die Auffassung des BSG, dem Bet. Ziff. 2 sei ein grob unsportliches Verhalten nicht vorzuwerfen, das möglicherweise zu einer anderen Entscheidung im Einzelfall hätte führen können.

Dass die Anwendung des Art. 10.2 d) der FIDE-Regeln gegen übergeordnete Rechtsgrundsätze verstoßen könnte, die eine Überprüfung der Schiedsrichterentscheidung ermöglichen würden, ist nicht zu erkennen. Insbesondere kann sich der Bf. nicht auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes berufen; dort geht es um den Rechtsschutz gegen Maßnahmen der „öffentlichen Gewalt“, wovon innerhalb der privatrechtlich organisierten Schachorganisation nicht auszugehen ist. Das BSG hat zurecht darauf hingewiesen, für viele Sportarten sei die Endgültigkeit und damit Unanfechtbarkeit von Schiedsrichterentscheidungen Voraussetzung. Auch der Einwand des Bf., die Situation im Schach unterscheide sich von der anderer Sportarten, ändert an der grundsätzlichen Vergleichbarkeit der Unanfechtbarkeit von Schiedsrichterentscheidungen nichts.

c) Allerdings ist dazu aus Sicht des Verbandsschiedsgerichts zu bemerken, dass die verantwortlichen Verbände anderer Sportarten dafür Sorge tragen, dass die Schiedsrichter eine ausreichende Ausbildung über die anzuwendenden Regeln erhalten. So ist es wohl kaum vorstellbar, dass bei Fußballspielen auch unterer Klassen ein Schiedsrichter aufs Feld geschickt wird, der die Spielregeln nicht beherrscht. Auf der anderen Seite zeigt der vorliegende Fall, dass bei der Regelkunde der Schiedsrichter im Schach Mängel vorhanden sind; eine zufriedenstellende Lösung erscheint aber nur schwer erreichbar. Die Bestimmung der Turnierordnung, dass bei Wettkämpfen unterhalb der Oberliga die Mannschaftsführer der gastgebenden Mannschaft Schiedsrichter sind, lässt befürchten, das auch in Zukunft in Streitfällen – so selten sie auch auftreten mögen – die FIDE-Regeln von Schiedsrichtern, die nicht absolut regelkundig sind, nicht immer korrekt angewendet werden mögen.

Diese Überlegungen sind mehr als ein Appell des Verbandsschiedsgerichts an den württembergischen Schachverband und den Deutschen Schachbund zu verstehen, sich der Verbesserung und Verbreiterung der Schiedsrichterausbildung oder rechtlichen Reichweite der Unanfechtbarkeit von Schiedsrichterentscheidungen verstärkt anzunehmen.

d) Gegenwärtig und für den zu entscheidenden Fall findet aber Art. 10.2 d) der FIDE-Regeln uneingeschränkt Anwendung. Daher ist die Berufung zurückzuweisen.

3. Eine Berufungsgebühr war nicht zu erheben. Das Verbandsschiedsgericht folgt insoweit dem BSG hinsichtlich des Verzichts auf eine Protestgebühr; angesichts der Besonderheiten des Einzelfalls und insbesondere des Umstands, dass dem Bf. trotz Fehlentscheidung des Bet. Ziff. 2 keine Rechtsschutzmöglichkeit offensteht, wird nach billigem Ermessen dem Bf. die Berufungsgebühr erlassen. Der bereits eingezahlte Betrag ist dem Bf. zurückzuerstatten.

Dr. Friedrich Gackenholz
Ute Jusciak
Michael Schwerteck