Aufstockung der Oberliga

Veröffentlicht am: 16.07.2016 von Holger Schröck in: Schiedsgericht » Urteile Drucken

Schiedsspruch

In Sachen
Heilbronner Schachverein e.V.
vertreten durch den 1. Vorsitzenden Ramin Geshnizjani
– Protestführer –
gegen
Schachverband Württemberg e.V.
vertreten durch den Verbandsspielleiter als Vorsitzenden des Verbandsspielausschusses Carsten Karthaus
– Protestgegner –
weitere Beteiligte:
  1. SK Bebenhausen 1992 e.V., vertreten durch den Präsidenten Rudolf Bräuning
  2. SG Königskinder Hohentübingen e.V., vertreten durch den Präsidenten Michael Schwerteck

hat das Verbandsschiedsgericht des Schachverbands Württemberg am 20. Juni 2016 durch den Vorsitzenden Alexander Häcker sowie die Beisitzer Marc Stuckel und Achim Jooß entschieden:

  1. Der Protest wird zurückgewiesen.
  2. Der Protestführer trägt die Kosten des Verfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Sachverhalt:

Die 1. Mannschaft des Beteiligten Ziff. 1 (Bebenhausen) belegte in der Oberliga-Saison 2015/2016 den einzigen Abstiegsplatz. Der Vorletzte SV Jedesheim hatte am 6. Spieltag gegen die erstplatzierten SF Deizisau mit 2,5:5,5 verloren. Der Staffelleiter der Oberliga hatte diese Begegnung allerdings wegen Verstößen von Deizisau gegen §§ 10, 11 WTO mit 8:0 zugunsten von Jedesheim gewertet. Im Fall des ursprünglichen Ergebnisses wäre Bebenhausen am Ende knapp vor Jedesheim gelandet.

Am 24. April 2016 beantragte Bebenhausen bei dem Protestgegner eine vorübergehende Aufstockung der Oberliga für 2016/2017 auf 11 Mannschaften, um auch selbst die Klasse zu halten. Der Protestgegner stimmte dem Antrag zu und veröffentlichte am 18. Mai 2016 auf seiner Homepage eine "Stellungnahme zur Aufstockung der Oberliga". Aufgrund der sportlichen Leistung wäre Bebenhausen regulär nicht abgestiegen, sodass die Aufstockung "eine Entscheidung für den Sport und das Fairplay" sei. Die Auswirkungen auf den Ligabetrieb sowie die Abstiegssituation in der Oberliga und den nachfolgenden Ligen seien abgewogen worden. Aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls sei nicht davon auszugehen, einen Präzendenzfall zu schaffen.

Der Protestführer legte gegen die Aufstockung der Oberliga mit schriftlichem Eingang am 2. Juni 2016 beim Verbandsschiedsgericht Protest ein. Er steigt als Sieger der Verbandsliga Nord in die Oberliga auf und trägt vor, die Aufstockung verstoße gegen § 8 Abs. 1 WTO. Durch die vorübergehende Aufstockung müsse in der kommenden Saison eine Mannschaft zusätzlich absteigen. Das Problem werde daher nicht gelöst, sondern nur auf die nächste Saison und andere Mannschaften verschoben. Der Protestführer schlägt einen Stichkampf zwischen Jedesheim und Bebenhausen vor.

Der Protestgegner stützt seine Entscheidung auf § 2 Abs. 1 Satz 3 WTO. Der Verbandsspielausschuss habe die Aufstockung am 26. April 2016 beschlossen und anschließend mit dem Präsidium abgestimmt. In der kommenden Saison habe jede Mannschaft gleiche Chancen auf den Klassenerhalt.

Das Verbandsschiedsgericht hat außerdem den Beteiligten als unmittelbar von der Aufstockung Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Beteiligte Ziff. 2 (Hohentübingen) wäre aus der Verbandsliga Süd abgestiegen, sofern Bebenhausen in diese absteigen würde.

Bebenhausen weist darauf hin, sämtliche Oberligavereine der Saison 2016/2017 vorab über seinen Antrag informiert zu haben. Der Protestführer sei gar nicht protestbefugt. Außerdem verteidigt Bebenhausen die Aufstockung inhaltlich.

Hohentübingen hält den Protest wegen Fristversäumnis und mangels Protestbefugnis für unzulässig. Inhaltlich habe das Verbandsschiedsgericht nur über die Rechtmäßigkeit und nicht über die Zweckmäßigkeit der Aufstockung zu entscheiden. Zwar sei Letztere kritisch zu sehen, § 2 Abs. 1 Satz 3 WTO aber jedenfalls eine einschlägige Grundlage.

Zu den näheren Einzelheiten des Falles wird auf die Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Protest ist zulässig, aber nicht begründet.

I.
  1. Wie im Schiedsspruch vom 13. September 2015 in der Sache SC Kirchheim Teck ./. Schachbezirk Neckar/Fils entschieden, beginnt die Frist nach § 17 Abs. 3 lit. a) SchiedsO mit der Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung. Verkündungsorgan nach § 12 Abs. 6 Satz 3 der Satzung des Schachverbands Württemberg ist seit Januar 2016 der elektronische Newsletter (http://schachzeitung.svw.info). Die Bekanntgabe der Aufstockung erfolgte in der Juni-Ausgabe am 1. Juni 2016. Auf eine tatsächliche frühere Kenntnis des Protestführers kommt es aus Gründen der Rechtssicherheit nicht an. Der Protest wurde daher fristgerecht eingelegt.
  2. Eine Protestbefugnis setzt zumindest die Möglichkeit voraus, dass der Protestführer durch die angegriffene Entscheidung nachteilig betroffen ist. Da die Oberliga nach der Saison 2016/2017 wieder auf 10 Mannschaften reduziert wird, muss eine zusätzliche Mannschaft absteigen, als dies normalerweise der Fall wäre. Diese potenziell höhere Abstiegsgefahr begründet die Protestbefugnis.
II.
  1. Der Protest ist aber nicht begründet. In § 2 Abs. 1 Satz 3 WTO heißt es:
    "Der Verbandsspielausschuss ist im Einvernehmen mit dem Verbandspräsidium berechtigt, in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen eine Höherstufung einer Mannschaft auf einen Antrag hin vorzunehmen."

    Zwar wurde diese Regelung möglicherweise vorrangig deswegen eingeführt, damit neu gegründete oder abgespaltene Vereine nicht zwingend in der untersten Liga anfangen müssen. Der weite Wortlaut lässt aber auch eine Anwendung im vorliegenden Fall zu.

  2. Die formalen Voraussetzungen wurden nach dem Antrag von Bebenhausen eingehalten. Der Protestgegner hat in seiner Stellungnahme ausführlich dargelegt, dass die Entscheidung vom Verbandsspielausschuss getroffen und anschließend mit dem Präsidium abgestimmt wurde.
  3. Die Aufstockung ist eine "Höherstufung" von Bebenhausen von der Verbands- in die Oberliga. Voraussetzung dafür ist ein "ganz besonders gelagerter Ausnahmefall". Die Entscheidung über die Höherstufung steht ausdrücklich im Ermessen ("ist…berechtigt") des Verbandsspielausschusses. Zugleich obliegt dem Verbandsspielausschuss auch ein Beurteilungsspielraum, ob er einen solchen Ausnahmefall annimmt. Der Prüfungsumfang des Verbandsschiedsgerichts umfasst daher nur die Frage, ob der Protestgegner die Grenzen seines Ermessens und seines Beurteilungsspielraums eingehalten hat, also ob er die weiteren Auswirkungen bedacht und abgewogen hat und ob die Entscheidung auf sachlichen und willkürfreien Erwägungen basiert.
  4. Anhaltspunkte für eine ermessensfehlerhafte Entscheidung liegen nicht vor. Insbesondere hatte der Protestgegner in seiner Stellungnahme vom 18. Mai 2016 ausdrücklich darauf hingewiesen, er habe die Auswirkungen auf den Ligabetrieb abgewogen.
    Dem Protestführer ist zuzugeben, dass unter anderem aus den von ihm genannten Gründen der Protestgegner ebenso die Möglichkeit gehabt hätte, den Antrag von Bebenhausen abzulehnen. Es liegt aber in der Natur des Ermessens, dass verschiedene Entscheidungen rechtmäßig sein können. Wie Hohentübingen zutreffend anmerkt, ist es aufgrund der eindeutigen Zuständigkeit des Verbandsspielausschusses (im Einvernehmen mit dem Präsidium) nach § 2 Abs. 1 Satz 3 WTO nicht Aufgabe des Verbandsschiedsgerichts, die Zweckmäßigkeit der Entscheidung zu überprüfen.
  5. Da § 2 Abs. 1 Satz 3 WTO eine Spezialregelung für "ganz besonders gelagerte Ausnahmefälle" trifft, ist in diesem Fall eine Abweichung von § 8 Abs. 1 Satz 1 WTO ("Die Oberliga spielt mit zehn Mannschaften.") möglich. Ein Stichkampf konnte nicht in Betracht kommen, da es keine Rechtsgrundlage dafür gibt, den nach der Abschlusstabelle der Oberliga sicheren Klassenerhalt von Jedesheim in Frage zu stellen.
III.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 12 SchiedsO.
Alexander Häcker
Marc Stuckel
Achim Jooß