Das Gibraltar Masters  -  aus Württemberger Sicht

Veröffentlicht am: 07.02.2016 von Claus Seyfried in: Presse und Öffentlichkeitsarbeit Drucken

06.02.2016  Claus Seyfried.  Immer habe ich mich gefragt, wie man nur so unglaublich blöd sein kann, dass man eine Turnierpartie wegen Handyklingelns verliert? Inzwischen weiß ich, es geht ganz einfach. In der zehnten und letzten Runde am 4. Februar war es mal wieder so weit. Als ich gerade darauf hoffte in der Schwarzpartie gegen IM Szidonia Lazarne Vajda die Siegerstraße betreten zu dürfen, ertönte ein ohrenbetäubendes Geschelle!

Ich fand es auch ganz drollig, bis mir so ganz allmählich klar wurde, dass das aus meinem eigenen Rucksack kam!!? In zwei Meter Entfernung hatte ich einen nicht störenden Ablageplatz für ihn gefunden. Oh mein Gott, wie konnte das nur geschehen?? Das ganze Turnier über hatte ich das Mobiltelefon immer im Zimmer gelassen, und nun war der Rucksack zum ersten Mal dabei, weil ich für mein Sweetheart nach der Partie unbedingt noch eine Handtasche bei Marks & Spencer in Gibraltar kaufen musste. Früher hatte ich immer nur T-Shirts von den Turnierreisen mitgebracht. Vorsichtshalber hatte ich das Telefon vorher schon auf lautlos geschaltet, aber dann schlicht und einfach vergessen es auszuschalten!! Das Lautlosschalten nutzte aber nichts gegen den Alarm von 14:15 Uhr, mit dem ich in den Runden 1 - 9 den Spielbeginn von 15:00 Uhr nicht verpassen wollte. Diesen Weckruf hätte ich in der letzten Runde nicht mehr gebraucht, weil diese schon um 11:00 Uhr begann.

Es ist mir so peinlich und vor allem so schmerzhaft wegen der vielen verlorenen Punkte, nachdem ich schon gegen einen holländischen IM eine Gewinnpartie wegen vermeintlicher Zeitnot im 55-ten Zug eingestellt hatte (dabei hatte ich die zusätzliche Stunde vergessen, die mir noch für die Züge 40 - 60 zustand, aber noch nicht auf der Uhr angezeigt wurden. Statt ELO -3 hätten es so ELO +40 werden können, schade!). Ich hoffe, es wird niemals jemand etwas davon erfahren!

Welche weiteren Erfolge - mit oder ohne Anführungszeichen - gibt es von diesen vier württembergischen Teilnehmern zu vermelden:  Frank Amos (SK Lauffen), Renato Bajer und Mischa Tscharotschkin (beide SF Neckartenzlingen) sowie Claus Seyfried (Stuttgarter SF 1879)?

Für Mischa war es bereits die elfte Teilnahme in Gibraltar. Nach für ihn enttäuschendem Start hat er seinen besten Erfolg unmittelbar nach meinem Handyklingeln Rücken an Rücken mit mir mit einem Sieg gegen GM Ketevan Arakhamia-Grant errungen, so dass er insgesamt sehr zufrieden mit diesem Turnier sein darf.


Foto: Renato Bajer


Noch länger als nur bis zur letzten Runde musste dagegen Renato Bajer auf seine beste Trophäe warten. Denn nach der Partie war er so geistesgegenwärtig sein Schachidol Anand um dessen Namensschild zu bitten. Später fiel ihm ein, dass sich darauf ein Autogramm gut machen würde. Erst als die abendliche Abschlussgala nach Mitternacht schon fast zu Ende war, war die Situation reif für eine Autogrammbitte, da er vorher den ganzen Abend dicht umlagert von den Vorstandsvorsitzenden der Sponsorenfirmen und der Veranstalter an seinem Tisch saß. Dabei entstand dieses Foto:


Foto: Claus Seyfried


Foto: Renato Bajer


Anands erste Teilnahme an einem Open nach 23 Jahren hier in Gibraltar wurde schon bei der Abschlussgala des Vorjahres bekannt gegeben. Auf dem Foto schaut er nicht gerade fröhlich drein, denn sein Turnier ging gründlich daneben. Es begann in der ersten Runde mit einem Remis gegen besagte Telefonnutznießerin IM Szidonia.

Doch Anand ist eine so beeindruckende, angenehme und sympathische Persönlichkeit, dass ein verdorbenes Turnier seinen Leistungen mit sechs Jahren unangefochtener Weltmeisterschaft keinen Abbruch tut. Egal ob man ihn auf englisch, deutsch oder spanisch anspricht, er antwortet perfekt in der jeweiligen Sprache. Als sich neben uns der dreifache Gibraltar-Sieger Nakamura vorbeidrückte, konnten wir ihm daher sagen:  „Schauen Sie, mindestens 30 Leute wollen sich mit Ihnen fotografieren lassen, aber von Nakamura will keiner was!“.

Sodann stoßen wir auf einen weiteren Bezug zu Württemberg, als Anand in Runde 5 gegen den jungen französischen GM Adrien Demuth seine erste von zwei Niederlagen erlitt. Demuth ist mit den SF Deizisau in der Oberliga Württemberg am Start. Noch am Sonntag, dem 24.01., also einen Tag vor Turnierbeginn, war er mit den SF Deizisau erfolgreich in Buchen im Viererpokal auf Bundesebene. Und einen weiteren Spieler der SF Deizisau sieht man übrigens häufiger im Caleta, dem Veranstaltungshotel, in diesem Jahr unmittelbar vor und nach der Oberligarunde vom 31.01., nämlich Brett 1 GM Rustem Dautov. Und das ohne dass er beim Gibraltar Masters mitspielte!? Des Rätsels Lösung, er lebt seit einigen Jahren in Gibraltar. Und das sind immer noch nicht alle Deizisauer:  WGM Yulija Shvayger, gemeldet an Brett 8, spielte im Gegensatz zu ihrem Ehemann Arkadij Naiditsch ein großartiges Turnier und errang mit ihren starken 6 Punkten einen Frauenpreis.

Neben Li Chao, der nach einer schlimmen Niederlage in Runde 2 gegen einen schwedischen GM immerhin noch einen für ihn halbwegs zufrieden stellenden siebenten Platz ohne ELO-Verlust erreichte und den weiteren Beteiligten des SK Schwäbisch Hall wie z.B. Alina Kashlinskaya, gab es noch eine Dame mit engem Bezug zu Württemberg:  WGM Vera Nebolsina (Stuttgarter SF), inzwischen liiert mit einem GM der Sonderklasse, musste sich in Runde 1 mit einem Remis gegen unseren Renato Bajer zufrieden geben, zugleich Renatos bestes Einzelergebnis. Später konnte sie zwei IM und einen sehr starken FM besiegen und noch einen der lukrativen Frauenpreise ergattern. Doch das meiste Aufsehen erregte ihr wunderschönes Matt gegen einen schwächeren Gegner. Der örtlichen Tageszeitung, dem Gibraltar Chronicle, war das ein Foto und ein Diagramm mit den letzten Zügen wert.




Claus Seyfried
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit


Links:
Gibraltar Chess Congress
Harald Keilhack am 13.02.2016 in der Stuttgarter Zeitung über Gibraltar