Morgen ist KJEM, und wo sind die Kinder?

Veröffentlicht am: 06.09.2010 von Holger Schröck in: Infos und Hintergründe Drucken

Hintergründe für die Stuttgarter Kreisjugend-Pokalturniere

„Nichts ist älter als die Zeitung von gestern.“ Jedoch, der Blick zurück verdeutlicht oft genug das, was schon in der Vergangenheit kritisiert und als verbesserungswürdig angesehen wurde. Wie oft hat sich in der Zwischenzeit trotz aller Kritik nichts daran geändert?

Teufelskreise im Nachwuchsschach?

Im Herbst 2009 wurde in der Rochade Württemberg mehrfach die niedrige Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an der Kreisjugendeinzelmeisterschaft kritisiert. Demnächst steht in allen Kreisen die KJEM wieder ins Haus. Wie wird das Fazit lauten? Werden unsere jugendlichen Mitglieder erneut kritisiert? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Kommt die Kritik an? Vielleicht haben die Kinder und Jugendlichen einen Trainer, der die Kritik weitergibt.

Übrigens, wie viele der 12jährigen ohne DWZ lesen die Rochade Württemberg?

Eines der wichtigsten Themen im Verband ist die langfristige Mitgliederentwicklung. Auch wenn der SVW in den letzten Jahren konstante Mitgliederzahlen zu verzeichnen hatte, droht angesichts der Bevölkerungsentwicklung und eines geänderten Freizeitverhaltens langfristig ein deutlicher Mitgliederschwund. Zur Verdeutlichung, aus den geburtenstarken Jahrgängen Mitte der 60er Jahre haben wir bis 160 Spieler pro Jahrgang in unseren Reihen, während es aus den Jahrgängen von 1975 bis 1985 nur jeweils 70 Aktive pro Jahrgang sind. Wir alle werden Jahr für Jahr ein Jahr älter. Als Spitzenwert haben wir in den Jahrgängen 1996 und 1997 im Verband 280 jugendliche Mitglieder. Wie viele von ihnen werden in zehn Jahren noch Mitglied eines Vereins im SVW sein, 70 oder weniger? Wird ein 12jähriger, der heute noch ohne DWZ ist, dann noch dazu gehören?

Der SVW hat eine hierarchische Verbandsstruktur. Das bedeutet automatisch, eine Hälfte der Mitglieder spielt als Mannschaft in der untersten Liga, also B-Klasse. Die mittlere Spielstärke aller Spieler mit DWZ beträgt in Württemberg 1470. Wenn ein Jugendlicher diese Spielstärke in der Pubertät mit 14 Jahren erreicht, dann kann er in der Schachwelt der Erwachsenen seinen Platz und zumindest in der B-Klasse auch sportlichen Erfolg finden. Jugendlichen, die langfristig deutlich unter diesem Niveau spielen, gehen irgendwann die Gegner aus, gegen die sie eine Chance auf Erfolg haben. Wer verliert schon gerne, und das auch noch fast jede Partie? Die entscheidende Frage ist also, wie viele der 14jährigen erreicht eine Spielstärke von 1450 DWZ? Im DSB-Durchschnitt waren es 2009 magere 8 Prozent. Die Quote in Württemberg liegt noch darunter, bei 4 Prozent, und das ist auch der Trend für 2010. Sind da 70 Spieler oder 25 Prozent aus dem Jahrgang der heute 14jährigen, die auch in zehn Jahren noch einem Verein im SVW als Spieler erhalten bleiben sollen, nicht doch eine sehr optimistische Annahme?

Teufelskreise im Nachwuchsschach? Hinter den angesprochenen Nachwuchs-Themen stecken Verbandsaufgaben, die zum Teil weit in die Basisarbeit der Vereine hineinreichen. Damit sind sie auch nur im Miteinander der Vereine mit dem Verband lösbar. Einige der Themen werden an der Basis bereits diskutiert. Damit gibt es Ansatzpunkte für Veränderungen. Was fehlt jetzt noch? Wille zur Gestaltung, Kraft, Mut, Unterstützung aus den Vereinen, führenden Köpfe, diese Veränderungen erfolgreich zu gestalten, und was sonst noch?

Praxiserprobtes Erfolgsrezept im Nachwuchsschach

Ein praxiserprobtes Erfolgsrezept im Nachwuchsschach gibt es bereits. Man kann es in fünf wesentlichen Punkten zusammenfassen:

  1. Altersmäßig möglichst sehr früh mit Schach anfangen,
  2. viel Taktik-Training zu Hause,
  3. Trainingsarbeit mit möglichst guten Trainern,
  4. Turniere spielen, Turniere spielen, Turniere spielen und
  5. ständiger Kontakt und regelmäßige Gespräche mit den Eltern.

Auch wenn nicht jedes Kind auf den Spuren eines Arik Braun, einer Elisabeth Pähtz oder gar eines Magnus Carlsens unterwegs ist, die Handlungsempfehlung bleibt identisch, nur die Intensität wird unterschiedlich sein.

Der SV Stuttgart-Wolfbusch ist der größte Verein in Württemberg, das Ergebnis langjähriger kontinuierlicher Nachwuchsarbeit. Viele der Kinder fanden jung über das Kindergartenschach und über das Schulschach den Weg in den Verein. Wann muß man mit Schach beginnen, um eine DWZ 1450 mit 14 Jahren zu erreichen? Mit 7 Jahren, wenn man eine kontinuierliche Entwicklung mit dem Erfahrungswert von 100 DWZ-Punkten pro Jahr unterstellt. Wenn ein Kind bereits mit fünf oder sechs in die Welt der 64 Felder eintauchen will, was ist leichter als die natürliche Lernbereitschaft und den Wissenshunger zu nutzen, um die Liebe zum Schach wachsen zu lassen.

Für das kontinuierliche Taktik-Training der Kinder zu Hause bedarf es mehr als eines Anstoßes. Auch bei sehr viel Eigenmotivation und Begeisterung der Kinder, das ist nur mit der Unterstützung der Eltern umsetzbar. Das heißt, wir brauchen die Eltern der Kinder unbedingt auf unserer Seite. Die Wertvorstellungen der Eltern prägen die Wertvorstellungen ihrer Kinder. Erst wenn die Eltern das Schach und das Training als Wert wahrnehmen und schätzen, bekommen das Kind und der Trainer die Unterstützung, die sie für den Erfolg langfristig brauchen. Sind die Eltern einmal derart sensibilisiert und offen für die Zusammenhänge, dann ermöglichen und fördern sie in der Regel auch die notwendige Teilnahme ihrer Kinder an Turnieren.

Turniere spielen, Turniere spielen, Turniere spielen …

Auf der einen Seite ist es gut, dass es in Württemberg die Jugend-Grandprix-Turniere gibt, denn sie eröffnen Kindern zumindest Spielmöglichkeiten. Für die Jüngsten gibt es dort sogar die Altersklasse U8. Der große Nachteil dieser Turniere, es gibt bei einer Bedenkzeit von 15…20 Minuten weder Partienotation noch DWZ-Auswertung. Wie sieht dann das Feedback an die Kinder aus, wenn das eigene Spiel keinerlei Konsequenz hat?

Im Deutschen Schachbund werden Turnierleistungen mit der DWZ gemessen. Wen wundert es, dass Kinder für ihre Leistungen auch eine DWZ haben wollen. Kinder sind im DSB als Mitglied und damit als hoffentlich langjährige Beitragzahler sehr willkommen. Mit der automatischen Vergabe einer Start-DWZ könnte der Verband ein ganz wichtiges Zeichen setzen - „Kind, von jetzt an gehörst Du dazu.“ Nach den ersten Turnieren wird jedem Kind klar: „Ich spiele auf diesem Niveau Schach“. Veränderung der DWZ ist für die Stimulanz und für die Dynamik der Leistungsentwicklung in einer Gruppe wichtig. Eine DWZ signalisiert damit „Das ist aktuell mein Platz in der Gruppe.“, … und morgen wird er wieder neu bestimmt. Um die DWZ-Auswertung zu ermöglichen, führt derzeit in den Altersklassen U8, U10 und U12 kein Weg an 60 Minuten Bedenkzeit pro Partie und Spieler vorbei. Wo in Württemberg gibt es offene U8-, U10- und U12-Turniere mit dieser Bedenkzeit? Welche Turniere sollen Kinder im Alter von 6, 7, 8 Jahren spielen, um DWZ-Zahlen zu erlangen? International gab es 2009 eine Weltmeisterschaft U8 mit 213 Teilnehmern. Im Gegensatz dazu schrieb die Deutsche Schachjugend 2010 noch nicht einmal eine Deutsche Jugendeinzelmeisterschaft U8 aus.

Eingangs des Artikels war von der Kritik an der geringen Teilnahme der Jugendlichen an der KJEM 2009 die Rede. An wen richtet sich bislang dieses Turnierangebot? Zeichnet man in den Leistungsentwicklungskorridor, um mit 14 Jahren erfolgreich in der B-Klasse spielen zu können, die DWZ-Zahlen der Kinder und Jugendlichen im SVW ein, dann wird deutlich, dass der DWZ-Schwerpunkt deutlich unterhalb dieses Korridors liegt. Bei dem einen oder anderen mag der Knoten noch platzen. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass die Masse der Kinder ihr Verhalten hinsichtlich Training und Spielpraxis ändert. Aus welchem Grund sollten also die Teilnehmerzahlen bei der KJEM nachhaltig ansteigen?

Stuttgarter Kreisjugend-Pokalturnieren 2010

Im Bezirk Stuttgart war die Beteiligung an der KJEM 2009 ebenso kritikwürdig, nahmen doch in der Altersklasse U10 lediglich 14 von 99 gemeldeten Spielern an der KJEM teil (Ost/Mitte/West: 0/8/6). In der Altersklasse U12 sah die Relation ähnlich aus. Wann ändern die jugendlichen Mitglieder ihr Verhalten? Wenn sie Erfolg haben, wenn ihre Spielstärke mit 12, 13 oder 14 Jahren zumindest im Leistungsentwicklungskorridor liegt. Das heißt, die Kinder brauchen in jüngeren Jahren mehr Beschäftigung mit Schach und vor allem mehr Chancen, Turniere zu spielen und sich untereinander zu messen.

Analyse aus Kinderperspektive: Wie denken Kinder über Turnierangebote?

Während der Spaßfaktor mit der Größe des Feldes ansteigt, ist das Denken in Sachen Preisfonds und Pokale materialistisch geprägt. Die Aussicht auf viele gleichaltrige Kinder, drei Pokale und eine Trostpreis-Garantie kommt in jedem Fall gut an.

Erste Frage: Wie ist ein größeres Teilnehmerfeld in der U10 umzusetzen, wenn Meistertitel in zwei Kreisen traditionell auf einer Freizeit vergeben werden?

Die Lösung für 2010 ist eine Aufteilung der Qualifikationsplätze zur BJEM, die zusätzliche Ausrichtung von offenen Kreisjugend-Pokalturnieren und die Bindung der Freiplatzvergabe zur BJEM an sportliche Aktivität. Alle Turniere werden außerdem von Trainern aus dem Talentestützpunkt Stuttgart zur Sichtung der Talente begleitet. Für die Kinder aus dem gastgebenden Kreis und aus dem Bezirk insgesamt geht es also in jedem Turnier um mehr als nur um Pokale, Plätze, Preise und vielleicht ein Schnuppertraining im Talentestützpunkt.

Zweite Frage: Nach welchem Modus wird gespielt?

Es gibt fünf offene Turniere (3x U10, 2x U12) an fünf Samstagen mit jeweils fünf Runden nach Schweizer System. Die Bedenkzeit beträgt, um die DWZ-Auswertung zu ermöglichen, 60 Minuten pro Partie und Spieler.

Dritte Frage: Was ist mit den Schach-Freizeiten?

In der Altersgruppe U12 sind die Freizeiten aktuell neben der Württembergischen Vereinsjugendmannschaftsmeisterschaft U12 das einzige Event, das für Kinder Schach in der Gruppe erlebbar macht. Die Freizeiten werden ebenso geöffnet, so dass bei offener Kapazität auch Kinder aus Vereinen anderer Stuttgarter Kreise teilnehmen können. Um noch mehr Freizeit-Teilnehmer in der U10 zu gewinnen, sind Vertrauensbildung und Gespräch mit den Eltern unerlässlich. Dazu ist am 09. Oktober 2010 im Anschluß an das Talentestützpunkt- Training in Stuttgart-Vaihingen erstmals eine Info-Veranstaltung angedacht.

Fazit und Ausblick

Mit den Stuttgarter Kreisjugend-Pokalturnieren wird das Turnierangebot in den Altersklassen U10 und U12 im Bezirk Stuttgart deutlich erweitert. Alle U10-Kinder können damit an fünf Turnieren in der Region teilnehmen, sich vielleicht eine DWZ erspielen und sich für den Talentestützpunkt empfehlen. Kinder aus anderen Kreisen, Bezirken und Verbänden sowie aus Schulschachgruppen sind herzlich eingeladen, sich an fünf Samstagen von Oktober bis Dezember mit den Stuttgarter Talenten zu messen und um die Pokale zu streiten.

Dr. Konrad Müller
Schulungsreferent Bezirksjugend Stuttgart (komm.)