SSG Fils-Lauter gegen SV Dicker Turm Esslingen

Veröffentlicht am: 26.04.2000 von Holger Schröck in: Schiedsgericht » Urteile Drucken

In der Schiedssache

der SSG Fils-Lauter e. V., vertr. d. Hermann Thurner, Barbarossastr. 58, 73079 Süßen
Protestführerin/Berufungsgegner (Gastgeber)

gegen

1. den SV Dicker Turm Esslingen e. V.
Protestgegner/Berufungsführer (Gastmannschaft)
2. den Schachbezirk Neckar/Fils - Spielleitung Bezirksliga B -
Berufungsführer (Spielleiter)

wegen Einsatz eines nachgemeldeten Spielers

hat das Verbandsschiedsgericht durch Dr. Rolf Gutmann als Vorsitzenden und Prof. Eberhard Herter und Werner Musolff als Beisitzer

am 26.4.2000 für Recht erkannt:

Der Schiedsspruch des Bezirksschiedsgerichts Neckar-Fils vom 19.3.2000 wird abgeändert. Das Ergebnis des Mannschaftskampfes SSG Fils/Lauter II gegen SV Dicker Turm Esslingen II lautet 4 ½ : 3 ½ für Fils/Lauter.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen in Höhe von DM 150,00 trägt der Protestführer. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Begründung:

I.

Die Parteien streiten um die Zulässigkeit des Einsatzes eines an Brett 1 der Gastmannschaft nachgemeldeten Spielers beim Wettkampf zwischen der II. Mannschaft der Gastgeber und der II. Mannschaft des Gastvereins am 30.1.2000. Der Gastgeber behauptet, er habe die fehlerhafte Aufstellung schon bei Bekanntgabe vor Wettkampfbeginn gerügt. Die Gastmannschaft bestreitet dies. Der Spielbericht enthält keinen Vermerk.

Mit Schreiben vom 5.2.2000 legte der Gastgeber gegen die Wertung des Spiels Protest ein. Das Bezirksschiedsgericht gab dem Protest statt und änderte das Spielergebnis von 4 ½ : 3 ½ auf 5 ½ : 2 ½. Die Nachmeldung an Brett 1 sei unzulässig gewesen. Die an Brett 2 und 3 angetretenen Spieler seien deshalb zu tief eingesetzt worden und beider Partien verloren zu werten. Im übrigen habe sich die Gastmannschaft vorsätzlich und schuldhaft einen Vorteil verschafft, indem sie bis kurz vor Saisonende sich die Möglichkeit offengehalten habe, den nachgemeldeten Spieler sich oben festspielen zu lassen oder noch zusätzlich in der II. Mannschaft einzusetzen.

Die Gastmannschaft beantragt mit ihrer Berufung, in Abänderung dieses Schiedsspruchs den Protest der Gastgeber zurückzuweisen. Der Gastgeber verteidigt den Schiedsspruch. Er habe auf das Startrundschreiben des Bezirksspielleiters vertrauen können.

II.

a) Die Berufung des Spielleiters ist nur aus formalen Gründen zulässig und kann nur dazu führen, dass seine Benennung als Verfahrensbeteiligter in der I. Instanz korrigiert wird. Schon im Schiedsspruch in Sachen SV Urach gg. Schachkreis Reutlingen u. a. (bzw. Sfr. Lichtenstein) vom 2.11.1999 hat das Verbandsschiedsgericht dargelegt, dass die Aufhebung einer von einem Spielleiter getroffenen Entscheidung kein Recht für ihn zur Einlegung eines Rechtsmittels durch ihn bzw. den Schachkreis oder –bezirk begründet. Seine Rechtsstellung entspricht der eines Rechtspflegers, der gegen ihm nicht genehme Entscheidungen des übergeordneten Amtsrichters ebenfalls kein Rechtsmittel einlegen darf. Die Berufung des Spielleiters führt nicht dazu, dass der angefochtene Schiedsspruch inhaltlich überprüft werden könnte.

b) Die Berufung der Gastmannschaft hat Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob der Protest des Gastgebers rechtzeitig erfolgte. Der angefochtene Schiedsspruch ist aus anderen Gründen aufzuheben und die ursprüngliche Wettkampfwertung wiederherzustellen. Zunächst begründet entgegen der Auffassung des Gastgebers ein Rundschreiben des Bezirksspielleiters keinen Vertrauensschutz in eine möglicherweise fehlerhafte Auslegung der WTO. Die Spielleiter dürfen keine Rechtsvorschriften erlassen. Sie sind vielmehr an die WTO gebunden und die von ihnen vertretenen Rechtsauslegungen unterliegen der Überprüfung durch die Schiedsgerichte.

c) Abwegig sind die Ausführungen des Bezirksschiedsgerichts, die Nachmeldung an Brett 1 der Gastmannschaft sei rechtswidriges „nach unten rücken“ der nachfolgenden Spieler. Das Verbandsschiedsgericht hält demgegenüber an seinen Ausführungen im Schiedsspruch vom 2.11.1999 fest. Der vom Bezirksschiedsgericht nicht erwähnte § 9 Abs. 5 WTO enthält keine Einschränkung der Nachmeldemöglichkeit in der rangtieferen Mannschaft. Vielmehr ermöglicht § 9 Abs. 2 S. 3 WTO die Nachmeldung an einer beliebigen Stelle. Eine solche Nachmeldung verändert nur den Rang der einzelnen Spieler, nicht ihre Reihenfolge untereinander (§ 9 Abs. 1 S. 1 WTO). § 9 Abs. 1 S. 1 WTO und § 9 Abs. 2 S. 3 WTO verwenden dementsprechend unterschiedliche Begriffe.

d) Ungerechtfertigt hält das Bezirksschiedsgericht dem Gastverein Rechtsmissbrauch vor. Der Gastverein hat mit der Nachmeldung von dem ihm nach § 9 Abs. 5 WTO eingeräumten Recht Gebrauch gemacht. Die Motive für diese Entscheidung sind nicht zu hinterfragen. Den Vereinen wird durch § 9 Abs. 5 WTO die Meldung eines Ersatzspielers in einer tieferen Mannschaft erlaubt und damit noch während der laufenden Saison Gestaltungsmöglichkeiten bei der Mannschaftsaufstellung eingeräumt. Dass der Gastverein in der Schlussphase der Saison seine II. Mannschaft durch einen Ersatzspieler seiner I. Mannschaft verstärkte, begründet keinen unzulässigen Vorteil.

Dieser Auslegung liegt umso näher, als die in der Oberliga spielende I. Mannschaft des Gastvereins mit den II. Mannschaften von Bundesligisten konkurrierte. Die in der Bundesliga spielenden Vereine werden durch § 9 Abs. 3 WTO benachteiligt. Ihre in der Bundesliga eingesetzten Ersatzspieler dürfen nach über dreimaliger Nominierung in der Bundesliga nicht mehr rangtiefer eingesetzt werden (§ 9 Abs. 3 S. 3 WTO). Spieler aus rangtieferen Mannschaften dürfen in der II. Mannschaft der Bundesligisten höchstens dreimal eingesetzt werden (§ 9 Abs. 3 S. 1 WTO). Die II. Mannschaften haben damit generell geringere Möglichkeiten als ihre Mitbewerber, Spieler zum Einsatz zu bringen. Das Verbandsschiedsgericht lässt die Zulässigkeit dieser Regelung offen, die gegen den im Sportrecht allgemein geltenden Grundsatz der Chancengleichheit verstößt.

§ 9 Abs. 3 WTO legt Bundesligisten eine Aufstellung nahe, durch die bei entsprechendem Saisonverlauf die Nachmeldung in einer rangtieferen Mannschaft ermöglicht wird. Verbietet sich aber bei den II. Mannschaften von Bundesligisten die Annahme eines Rechtsmissbrauchs, so muss dies für alle Mannschaften gelten. Das legitime Verhalten des Berufungsführers durfte das Bezirksschiedsgericht nicht zum Anlass für die Androhung der Verhängung einer Geldstrafe nehmen.

III.

Die Verfahrenskosten einschließlich der in beiden Instanzen angefallenen Protestgebühren sind dem Gastgeber aufzuerlegen. Er ist vollständig unterlegen. Die durch den Rechtsirrtum des Bezirksschiedsgerichts mittelbar bewirkte Berufungseinlegung durch den Spielleiter hat keine gesondert zu berücksichtigenden Verfahrenskosten ausgelöst. Der Gastgeber hat die Protestgebühr für das Berufungsverfahren noch an die Verbandskasse zu entrichten. Der Verbandskassierer hat dem Gastverein die entrichtete Protestgebühr zurückzuerstatten.

Es bestand keine Veranlassung, die Erstattung außergerichtlicher Kosten anzuordnen.

Dr. Rolf Gutmann
Prof. Eberhard Herter
Werner Musolf