Rückzug einer Mannschaft II

Veröffentlicht am: 30.09.2016 von Holger Schröck in: Schiedsgericht » Urteile Drucken

Schiedsspruch

In Sachen

Schachverein 23 Böckingen
– Protestführer/Berufungsführer –
gegen
 
Schachbezirk Unterland
– Protestgegner/Berufungsgegner –

hat das Verbandsschiedsgericht des Schachverbands Württemberg am 10. September 2016 durch den Vorsitzenden Alexander Häcker, den stellvertretenden Vorsitzenden Michael Schwerteck und den Beisitzer Reiner Scholte entschieden:

  1. Die Berufung gegen den Schiedsspruch des Bezirksschiedsgerichts Unterland vom 11. August 2016 wird zurückgewiesen.
  2. Dem Berufungsführer wird die Berufungsgebühr zurückerstattet. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Sachverhalt:

Das Verfahren betrifft die Besetzung der Landesliga Unterland in der Saison 2016/17.

Am 6. Juli 2016 teilte der SV Erdmannhausen dem Bezirksspielleiter des Berufungsgegners mit, dass er seine zweite Mannschaft aus der Landesliga Unterland zurückziehe. Daraufhin stimmte der Bezirksspielausschuss des Berufungsgegners darüber ab, wie mit der neuen Situation umgegangen werden sollte. Als Mitglied des potenziell begünstigten SK Bietigheim-Bissingen zeigte der Bezirksspielleiter zwar die verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten auf, erklärte sich aber dabei für befangen und enthielt sich der Stimme. Mit Rundschreiben vom 20. Juli 2016 wurde den betroffenen Vereinen die Entscheidung mitgeteilt, dass die erste Mannschaft des SK Bietigheim-Bissingen in der Landesliga verbleibe. Diese war in der Saison 2015/16 als Tabellenneunte von zehn Mannschaften in die Bezirksliga abgestiegen.

Die Entscheidung wurde damit begründet, dass nach § 4 Abs. 5 der Bezirksspielordnung (BSO) zuerst die Zahl der Absteiger zu verringern sei, bevor die Zahl der Aufsteiger erhöht werde. Das Verbandsschiedsgericht habe in einem ähnlichen Fall entschieden, dass Gruppeneinteilungen und Paarungstabellen grundsätzlich bis zum 1. September geändert werden könnten, um auf den Rückzug einer Mannschaft zu reagieren.

Gegen diese Entscheidung legte der Berufungsführer, dessen erste Mannschaft in der Landesliga Unterland spielt, mit am 1. August 2016 eingegangenem Schreiben beim Bezirksschiedsgericht Unterland Protest ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die BSO enthalte keine klare Regelung über die Folgen des Rückzugs einer Mannschaft, so dass § 8 Abs. 3 Satz 4 WTO anzuwenden sei, wonach der Platz einer nach dem 1. Juni zurückgezogenen Mannschaft unbesetzt bleibe. § 4 Abs. 5 BSO verweise nämlich auf eine „höhere Ordnung“, soweit die BSO selbst keine Regelung enthalte. Folglich sei die Entscheidung, dem sportlich abgestiegenen SK Bietigheim-Bissingen ein Startrecht in der Landesliga zu gewähren, regelwidrig. Der Berufungsführer werde dadurch benachteiligt, da es auf diese Weise einen weiteren Abstiegsplatz gebe, so dass für ihn eine höhere Abstiegsgefahr bestehe.

Der ebenfalls in der Landesliga Unterland vertretene SC Blauer Turm Bad Wimpfen schloss sich diesem Protest an.

Das Bezirksschiedsgericht wies den Protest mit Schiedsspruch vom 11. August 2016 als unbegründet ab. § 8 Abs. 3 WTO sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Wie das Verbandsschiedsgericht mit Schiedsspruch vom 13. September 2015 (SC Kirchheim-Teck ./. Bezirk Neckar-Fils) zutreffend entschieden habe, betreffe diese Vorschrift nur die Oberliga und die Verbandsliga. Eine Abstiegsregelung bezüglich der Landesliga und der Bezirksliga sei gemäß § 8 Abs. 4 und 5 WTO den jeweiligen Bezirken überlassen.

Zwar enthalte die BSO keine ausdrückliche Regelung über den Rückzug einer Mannschaft, jedoch könne aus § 4 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 5 BSO abgeleitet werden, dass vorrangig die Grundzahl von zehn Mannschaften zu gewährleisten sei. Die angefochtene Entscheidung sei daher regelkonform.

Mit seiner am 31. August 2016 beim Verbandsschiedsgericht eingegangenen Berufungsschrift verfolgt der Berufungsführer seinen Protest weiter. Er hält an seiner Auffassung fest, dass § 8 Abs. 3 WTO einschlägig sei. Die Schöpfer der BSO seien von dieser Regelung derart überzeugt gewesen, dass sie auf eine anderslautende Regelung bewusst verzichtet hätten. Es sei nicht hinnehmbar, dass der Bezirksspielausschuss ohne verbindliche Vorgaben „nach Lust und Laune“ entscheiden könne, bis zu welchem Termin der Rückzug einer Mannschaft durch einen Nachrücker ausgeglichen werden könne.

Der Berufungsführer rügt außerdem die Befangenheit zum einen des Bezirksspielleiters, der sich sowohl an der Diskussion beteiligt als auch an der Abstimmung teilgenommen habe. Zum anderen hätten die Mitglieder des Bezirksschiedsgerichts Schmidt und Lach wegen „mittelbarer Befangenheit“ nicht mitwirken dürfen. Deren Vereine (TSG Öhringen bzw. SV Marbach) seien als Landesligavereine nämlich ebenfalls von der Entscheidung betroffen.

Der SC Blauer Turm Bad Wimpfen, der vom Bezirksschiedsgericht als zweiter Protestführer zugelassen wurde, hat mit E-Mail vom 4. September 2016 klargestellt, dass er keine eigenständige Berufung einlege.

Der Berufungsgegner verteidigt seine Entscheidung. Zum Vorwurf seiner Befangenheit entgegnet der Bezirksspielleiter, er habe lediglich wertfrei die verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten aufgezeigt und sich bei der Abstimmung enthalten.

Zu den näheren Einzelheiten des Falles wird auf die Akten verwiesen.

Eine mündliche Verhandlung war nicht veranlasst und aufgrund der Eilbedürftigkeit ohnehin nicht durchführbar.

Entscheidungsgründe:

I.
Die Berufung ist zulässig.
  1. Der angefochtene Schiedsspruch vom 11. August 2016 wurde dem 1. Vorsitzenden des Berufungsführers wohl am 24. August 2016 zugestellt und dem Verfahrensbevollmächtigten mit Fax vom 28. August 2016 weitergeleitet. Somit ist die am 31. August 2016 eingelegte Berufung fristgerecht gemäß § 13 Abs. 1 SchiedsO.
  2. Der Berufungsführer ist protestbefugt, da es aufgrund der angefochtenen Entscheidung in der Saison 2016/17 einen zusätzlichen Absteiger geben wird, was eine potenziell höhere Abstiegsgefahr für ihn begründet (vgl. Schiedsspruch vom 20. Juni 2016, Heilbronner SV ./. Schachverband Württemberg).
II.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zumindest im Ergebnis sind sowohl die Entscheidung des Bezirksspielausschusses als auch der Schiedsspruch des Bezirksschiedsgerichts rechtsfehlerfrei, auch wenn dem Berufungsführer zuzugestehen ist, dass aufgrund der ungewöhnlich großen Regelungslücken verschiedene Auslegungen in Betracht kamen.
  1. Die Rüge der Befangenheit greift nicht durch.

    Zum einen ist die Art und Weise der Beteiligung des Bezirksspielleiters unbedenklich. Ein konkreter Versuch der Einflussnahme auf die Entscheidung des Bezirksspielausschusses ist weder vom Berufungsführer vorgetragen noch sonst ersichtlich. Aus den Akten ergibt sich vielmehr, dass der Bezirksspielleiter die Abstimmung neutral geleitet hat, ohne selbst ein Votum abzugeben.

    Zum anderen begründet allein der Umstand, dass ein Mitglied des Schiedsgerichts einem in der betreffenden Liga spielenden Verein angehört, nicht zwangsläufig einen Befangenheitsgrund. Der Berufungsführer spricht selbst lediglich von einer „mittelbaren Befangenheit“. § 7 Abs. 1 SchiedsO sieht jedoch insoweit vor, dass Mitglieder des Schiedsgerichts nur dann bei der Beratung und Entscheidungsfindung nicht mitwirken dürfen, wenn ihr eigener Verein an dem Schiedsfall beteiligt ist oder unmittelbar daraus Nutzen ziehen oder Schaden erleiden kann. Keine dieser Varianten ist vorliegend gegeben. Zudem hat das Bezirksschiedsgericht gerade keine Entscheidung getroffen, die geeignet ist, die anderen Landesligavereine, denen seine Mitglieder angehören, zu begünstigen. Eine etwaige Befangenheit hat sich also jedenfalls nicht auf die Entscheidung ausgewirkt und ist somit unbeachtlich.

  2. Entgegen der Auffassung des Berufungsführers ist der Rückgriff auf § 8 Abs. 3 WTO jedenfalls nicht zwingend. In einer rechtlich unklaren, da unzureichend geregelten Situation hat sich der Berufungsgegner für eine vertretbare Lösung entschieden, die auch aus Sicht des Verbandsschiedsgerichts aus nachfolgenden Gründen vorzugswürdig erscheint.

    Es ist festzustellen, dass der Berufungsgegner es versäumt hat, für die Landesliga seines Bezirks eine klare und lückenlose Abstiegsregelung zu treffen, wie es nach § 8 Abs. 4 WTO vorgesehen ist. In Bezug auf den Rückzug einer Mannschaft ist die BSO in sich unschlüssig und lässt einige Fragen offen. § 4 Abs. 1 BSO lautet folgendermaßen:

    „Die Landesliga spielt mit einer Grundzahl von zehn Mannschaften. Der Meister der Landesliga steigt in die Verbandsliga auf. Der Tabellenletzte steigt in die Bezirksligen ab. Steigen aus der Verbandsliga Mannschaften in die Landesliga Unterland ab, dann erhöht sich die Zahl der Absteiger in der Landesliga noch im gleichen Jahr (und ggf. auch in den Folgejahren): es steigen solange bis zu drei Mannschaften ab, bis die Grundzahl wieder erreicht ist.“

    Die Absätze 2 bis 4 betreffen Ligen unterhalb der Landesliga. In § 4 Abs. 5 BSO heißt es:

    „Sonderereignisse bezüglich der Auf- und Abstiegsregelung (d.h. Ereignisse, die weder in der BSO, noch in einer höheren Ordnung geregelt sind) regeln die Kreisspielleiter in Rücksprache mit dem Bezirksspielausschuss. Dabei haben sie darauf zu achten, dass in der Bezirksliga mindestens 10 Mannschaften spielen und in Kreis-, A- und B-Klasse jeweils 10. Während der Saison darf sich weder die Anzahl der Absteiger erhöhen noch die Anzahl der Aufsteiger verringern. Um die Grundzahl in den Klassen im nächsten Spieljahr zu gewährleisten, wird zum Auffüllen von Klassen die Anzahl der Absteiger verringert, bevor die Anzahl der Aufsteiger erhöht wird.“

  3. § 4 Abs. 5 BSO enthält zwar eine Regelung über „Sonderereignisse“, wozu, wie das Bezirksschiedsgericht zutreffend angenommen hat, auch der Rückzug einer Mannschaft zu zählen ist. Unverständlich ist allerdings, wieso die Vorschrift nur für die Bezirksliga und niedrigere Spielklassen nähere Vorgaben macht, während die Landesliga überhaupt nicht erwähnt wird. Diese ist zwar auch nicht ausdrücklich vom Anwendungsbereich ausgeschlossen, aber schwerlich mit der Regelung vereinbar, dass die Kreisspielleiter für Entscheidungen zuständig sind. In § 4 Abs. 1 BSO wiederum wird zwar für die Landesliga eine „Grundzahl“ von zehn Mannschaften genannt; es bleibt aber offen, ob diese auch im Fall eines Rückzugs einzuhalten ist.

    Das Verbandsschiedsgericht geht jedoch entgegen der Mutmaßung des Berufungsführers nicht davon aus, dass die Urheber der BSO diese Regelungen mit Absicht lückenhaft formuliert haben, weil sie für die Landesliga – in Abweichung von den übrigen Spielklassen – die WTO zur Geltung bringen wollten. Aufgrund der unmissverständlichen Zuständigkeitszuweisung in § 8 Abs. 4 WTO, wonach jeder Schachbezirk für seine Landesligagruppe eine Abstiegsregelung zu treffen hat, besteht eine Vermutung, dass eine auf Bezirksebene ansatzweise bestehende Regelung als abschließend gedacht ist. Es ist zwar für die Bezirke möglich, Auf- und Abstiegsregelungen der WTO zu übernehmen, jedoch bedarf dies eines ausdrücklichen (Rück-)Verweises.

    Die lediglich sekundär genannte und sehr pauschal gehaltene Bezugnahme auf eine „höhere Ordnung“ in § 4 Abs. 5 Satz 1 BSO erscheint insoweit nicht ausreichend, zumal der Rückzug einer Mannschaft aus einer Landesliga in der WTO gerade nicht geregelt ist. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Berufungsgegner sich hinsichtlich der Bezirksliga und der niedrigeren Spielklassen für eine von der WTO deutlich abweichende Regelung entschieden hat. Sollte für die Landesliga hingegen die WTO gelten, hätte dies die schwer nachvollziehbare Folge, dass innerhalb desselben Bezirks völlig unterschiedliche Regelungen gelten würden. Wäre dies tatsächlich beabsichtigt gewesen, hätte es nahegelegen, einen ausdrücklichen Verweis in die BSO aufzunehmen.

  4. Vorrangig ist daher zu prüfen, ob sich im Wege der Auslegung eine Lösung aus der Systematik der BSO ergibt. Insoweit ist festzustellen, dass die BSO eindeutig von dem Leitgedanken geprägt ist, dass nach Möglichkeit die Grundzahl von zehn Mannschaften erreicht werden soll. Für sämtliche Spielklassen, auch für die Landesliga, ist diese Grundzahl ausdrücklich vorgeschrieben. Zudem regelt § 4 Abs. 1 Satz 4 BSO, dass sich die Zahl der Absteiger nur erhöht, wenn dadurch die Grundzahl erreicht wird. § 4 Abs. 5 Satz 4 BSO sieht vor, dass die Spielklassen aufgefüllt werden sollen, indem die Anzahl der Absteiger verringert wird, bevor die Anzahl der Aufsteiger erhöht wird. Angesichts dieser Leitlinien erscheint es vorzugswürdig, innerhalb des Bezirks eine einheitliche Regelung anzuwenden. Dies führt im vorliegenden Fall dazu, dass der bestplatzierte Absteiger der Vorsaison, d. h. der SK Bietigheim-Bissingen, in der Landesliga verbleibt.

  5. Diese Lösung bringt auch mit sich, dass der in § 8 Abs. 3 Satz 4 WTO genannte Stichtag 1. Juni nicht einschlägig ist. Wie oben bereits ausgeführt wurde, ist dieser Termin nur für die Oberliga und die Verbandsliga verbindlich. Aus der BSO ist nicht ersichtlich, dass auch auf Bezirksebene eine derartige Einschränkung gelten soll. In § 4 Abs. 5 Satz 3 BSO ist lediglich vorgesehen, dass sich „während der Saison“ weder die Anzahl der Absteiger erhöhen noch die Anzahl der Aufsteiger verringern darf. Es ist daher davon auszugehen, dass vor Beginn der Saison, also jedenfalls bis zum 1. September, eine solche Änderung erfolgen darf (vgl. Schiedsspruch vom 13. September 2015, SC Kirchheim-Teck ./. Bezirk Neckar-Fils). Dem Berufungsgegner steht es frei, einen konkreten anderen Termin in der BSO festzulegen, um organisatorische Schwierigkeiten zu vermeiden.

III.
Nach dem Wortlaut von § 12 Abs. 3 Satz 1 SchiedsO müsste an sich der Berufungsführer als unterliegende Partei die Kosten tragen, was im vorliegenden Fall jedoch unangemessen erscheint. Da der Berufungsgegner für eine evidente Regelungslücke verantwortlich ist, ist es ihm anzurechnen, wenn ein Verein im Wege des Protests nach Klärung strebt. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die SchiedsO nicht alle Verfahrensfragen abschließend regelt, sondern in § 10 Abs. 3 insbesondere auf die Regelungen des Allgemeinen Teils des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) verweist. Im vorliegenden Fall erscheint es angebracht, § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG entsprechend anzuwenden, wonach im Einzelfall aus Gründen der Billigkeit von der Erhebung der Kosten abgesehen werden kann. Ergänzend ist auf den Rechtsgedanken von § 155 Abs. 4 Verwaltungsgerichtsordnung zu verweisen, wonach Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden können. Diese analoge Rechtsanwendung ist zwar keine ausreichende Grundlage für eine Kostenentscheidung zulasten des Berufungsgegners, ermöglicht es jedoch, die vom Berufungsführer eingezahlte Berufungsgebühr zu erstatten. Die Kostenentscheidung des Bezirksschiedsgerichts bleibt bestehen.
IV.
Dem Berufungsgegner wird empfohlen, die Folgen des Rückzugs einer Mannschaft in der BSO so bald wie möglich eindeutig zu regeln.
Alexander Häcker
Michael Schwerteck
Reiner Scholte