Aberkennung einer Partie

Veröffentlicht am: 10.12.2017 von Holger Schröck in: Schiedsgericht » Urteile Drucken

Schiedsspruch

In Sachen
SK Bebenhausen 1992 e.V.
– Protestführer –
gegen
SK Sontheim/Brenz e.V.
– Protestgegner –

wegen Aberkennung einer Partie hat das Verbandsschiedsgericht des Schachverbands Württemberg am 13. April 2017 durch den Vorsitzenden Alexander Häcker sowie die Beisitzer Norbert Kelemen und Marc Stuckel entschieden:

  1. Die Entscheidung des Staffelleiters der Oberliga vom 19.Dezember 2016 wird aufgehoben. Die Partie Bräuning - Walter an Brett 2 der Begegnung SK Bebenhausen - SK Sontheim/Brenz in Runde 5 der Oberliga vom 4. Dezember 2016 wird mit 1:0 gewertet.
  2. Dem Protestführer wird die Protestgebühr zurückerstattet. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Sachverhalt:

Die Parteien trafen am 4. Dezember 2016 in Runde 5 der Oberliga aufeinander, wobei es an Brett 2 zu der Partie Bräuning (Bebenhausen) gegen Walter (Sontheim) kam. Dem Protestfall liegen im Wesentlichen folgende drei Vorfälle während des Mannschaftskampfes zugrunde, wobei die Einzelheiten umstritten sind:

Nach früher Beendigung der Partie an Brett 1 begleitete der Spieler Bräuning, zugleich Mannschaftsführer, die Spieler in den Analyseraum, wohl auch um diesen erst aufzuschließen. Der Schiedsrichter begleitete die Spieler dabei.

Als später ein Jugendspieler von Bebenhausen seine Partie eines Mannschaftskampfes der Bezirksliga, der in demselben Raum ausgetragen wurde, beendet hatte, trug Bräuning den Jugendlichen das Brett zur Analyse in den Analyseraum. Auch dabei begleitete ihn der Schiedsrichter.

In beiden Fällen ist umstritten, ob und wie lange sich Bräuning selbst im Analyseraum aufgehalten hat und sich zu den beendeten Partien geäußert hat. Ebenso schildern die Beteiligten abweichend voneinander, ob und mit welchem Inhalt Dialoge zwischen Bräuning und dem Schiedsrichter stattgefunden haben.

Nach Darstellung von Bräuning sei ihm der Schiedsrichter jeweils wortlos gefolgt. Er selbst habe nur den Analyseraum aufgeschlossen bzw. das Brett abgestellt und sei sofort wieder zurückgegangen. Er selbst habe den Schiedsrichter beim zweiten Mal wegen dessen Begleitung "scherzhaft" angesprochen, ob er etwa das Spielareal verlassen habe. Eine Antwort oder eine mündliche Verwarnung seitens des Schiedsrichters habe es nicht gegeben.

Der Schiedsrichter schildert hingegen, dass sich Bräuning in beiden Fällen an der Analyse im Analyseraum beteiligt habe. Er habe ihn deshalb darauf hingewiesen, dass Bräuning mit einem Partieverlust rechnen müsse, wenn er so weitermache. Diese Verwarnung habe er auch im Spielbericht vermerkt.

Später kiebitzte Bräuning bei dem Bezirksligakampf, als er von einem unbeteiligten Zuschauer zur Seite genommen und auf eine konkrete Stellung des Bezirksligakampfes angesprochen wurde. Bräuning antwortete hierauf kurz und setzte sich anschließend wieder an sein Brett. Der Schiedsrichter, der dieses Gespräch mitbekommen hatte, folgte Bräuning an sein Brett und erklärte seine Partie für verloren. Mit Zustimmung des Spielers Walter setzten beide die Partie trotzdem unter Vorbehalt fort, wobei Bräuning gewann.

Der Schiedsrichter begründete die Partieabnahme damit, dass er aufgrund vorheriger Androhung eines Partieverlusts nach den ersten beiden Vorfällen nun Maßnahmen ergreifen musste. Einen Betrugsversuch unterstellt er Bräuning ausdrücklich nicht.

Auf Einspruch von Bebenhausen bestätigte der Staffelleiter diese Entscheidung. Bräuning habe unstreitig zweimal das Spielareal verlassen und damit gegen Art. 11.2 Satz 3 lit. a) der FIDE-Regeln verstoßen. Außerdem dürften gemäß Art. 12.7 Satz 2 der FIDE-Regeln Spieler anderer Partien nicht über eine Partie reden. Der Staffelleiter geht davon aus, dass der Schiedsrichter nach dem zweiten Vorfall eine Verwarnung mit Androhung eines möglichen Partieverlustes aussprach. Bräuning selbst bestätige, dass zumindest Bemerkungen über Regelverstöße fielen. Nicht entscheidend sei, dass es in dem Gespräch beim dritten Vorfall um einen anderen Mannschaftskampf gegangen sei und deshalb kein Betrugsverdacht vorliege. Denn sonst dürfe man sich im Umkehrschluss straflos flüsternd über alle möglichen Partien unterhalten, solange es nicht die eigene sei. Deshalb reiche für eine Partieabnahme bereits der dritte Vorfall aus, sodass es auf vorherige Verwarnungen gar nicht ankomme. Die Entscheidung des Schiedsrichters möge hart sein, stehe aber im Einklang mit den FIDE-Regeln.

Gegen die Entscheidung des Staffelleiters hat Bebenhausen Protest eingelegt. Unstreitig sei nur ein leises Gespräch über eine Bezirksligapartie. Für ein Verlassen des Turnierareals, zumal in Begleitung des Schiedsrichters, sei nur eine Ermahnung angemessen. Eine Verwarnung hätte klar und eindeutig erfolgen müssen. Art. 12.7 der FIDE-Regeln regele nur den Aufgabebereich des Schiedsrichters und könne nur mittelbar als Verhaltensnorm für Spieler herangezogen werden. Eine Partieabnahme dürfe als "ultima ratio" nur bei schwerwiegenden Regelverstößen erfolgen. Art. 11.7 der FIDE-Regeln erfordere etwa eine "andauernde Weigerung", sich an die Schachregeln zu halten.

Dem Protest von Bebenhausen sind verschiedene Anlagen und Zeugenaussagen beigefügt. Eine weitere Aufklärung der Abläufe und Gespräche war dadurch aber nicht möglich. Sämtliche weiteren Beteiligten, auch der Protestgegner, äußerten sich dahin, nichts mitbekommen zu haben.

Zu den näheren Einzelheiten des Falles wird auf die Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Protest ist zulässig und begründet.

I.

1. Eine nähere Aufklärung des Sachverhalts war nicht möglich und angesichts der vorgelegten Zeugenaussagen auch im Rahmen einer etwaigen mündlichen Verhandlung nicht zu erwarten. Das Verbandsschiedsgericht geht durchaus davon aus, dass im Rahmen der ersten beide Vorfälle ein Regelverstoß wegen Verlassens des Spielareals – wozu der Analyseraum zweifelsfrei nicht gehört – zwischen Bräuning und dem Schiedsrichter thematisiert wurde. Von wem dies ausging, wie ernsthaft Bräuning dies auffasste und ob ein möglicher Partieverlust im Wiederholungsfall konkret angedroht wurde, bleibt offen. Allerdings stellt der Vermerk des Schiedsrichters im Spielbericht dafür durchaus ein Indiz dar. Für die Glaubhaftigkeit der Schilderung des Schiedsrichters, jedenfalls nach seinem subjektiven Empfinden, spricht auch, dass er zugunsten des Spielers Bräuning ausdrücklich nicht von einem Betrugsverdacht ausging. Dies kann aber im Ergebnis dahinstehen.

2. Das Verbandsschiedsgericht merkt in diesem Zusammenhang zunächst Folgendes an. Es kann regelmäßig nicht im Interesse der ungestörten Fortsetzung eines Mannschaftskampfes liegen, wenn der Schiedsrichter Vermerke im Spielbericht stets unmittelbar "öffentlich" mitteilen würde oder müsste. Vielmehr wird es in aller Regel sachgerecht sein, lediglich den betroffenen Spieler sowie gegebenenfalls den Mannschaftsführer – hier personenidentisch – und/oder den Gegner auf einen Vorfall hinzuweisen. Dies muss aber der Beurteilung des Schiedsrichters im Einzelfall überlassen werden (vgl. auch Vorwort der FIDE-Regeln). Das dafür erforderliche Sachverständnis, Urteilsvermögen und Objektivität des Schiedsrichters sind auch im Rahmen einer Beweiswürdigung zu berücksichtigen, wenn wie hier "Aussage gegen Aussage" steht. Soll eine Sanktion aufgrund einer vorherigen Androhung erfolgen, muss diese Androhung gegenüber dem betroffenen Spieler aber in jedem Fall unmissverständlich erfolgen. Auch um diese Klarheit und gegebenenfalls Beweisbarkeit sicherzustellen, mag es – im Rahmen der sachverständigen Beurteilung des Schiedsrichters – hilfreich sein, die Androhung unter Anwesenheit einer weiteren Person vorzunehmen.

3. Die Partieabnahme beruht zunächst auf zwei Verstößen gegen Art. 11.2 Satz 3 lit. a) der FIDE-Regeln, der das Verlassen des Turnierareals nur mit Genehmigung des Schiedsrichters erlaubt. Nach dem feststehenden Sachverhalt ist in der Tat von zwei Verstößen auszugehen, allerdings von minderem Gewicht. Das ergibt sich daraus, dass es in beiden Fällen immerhin sachliche Gründe gab, nämlich das Aufschließen des Analyseraums (auch wenn dies vor Spielbeginn hätte erfolgen können) und die Unterstützung des Jugendspielers. Auch war aufgrund der Begleitung durch den Schiedsrichter – wenngleich dies keine (ausdrückliche) Genehmigung darstellt – eine "Überwachung" sichergestellt. In diesem Zusammenhang weist das Verbandsschiedsgericht allerdings darauf hin, dass Sanktionen durchaus auch aufgrund (mehrerer) geringfügiger Verstöße erfolgen können und dass eine Beobachtung möglicher Regelverstöße gerade zu den Aufgaben des Schiedsrichters gehört.

4. Maßgeblich für die Sanktion war schließlich die Unterhaltung des Spielers Bräuning über eine (andere) Partie im Turniersaal, zumal vor Beendigung der eigenen Partie. Unabhängig davon, ob Art. 12.7 der FIDE-Regeln insoweit unmittelbar eine Verbotsnorm darstellt, kann darin eine Störung liegen; sei es aufgrund der Unterhaltung an sich oder wegen des Verdachts einer Zuhilfenahme von Ratschlägen (vgl. Art. 11.3 lit. a) der FIDE-Regeln). Auch insoweit liegt also ein Regelverstoß vor, der zu einer Sanktion führen kann.

5. Gleichwohl hat der Protest Erfolg, selbst wenn man die Schilderung des Schiedsrichters zugrunde legt, dass eine Verwarnung unter Androhung eines Partieverlustes erfolgt war. Vor der Verhängung einer Sanktion muss der Schiedsrichter stets Ermessen ausüben und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. In diesem Zusammenhang spielt es zwar eine Rolle, dass bereits eine Verwarnung ausgesprochen wurde und daher auch einmal "Maßnahmen ergriffen werden müssen." Allerdings bietet Art. 12.9 der FIDE-Regeln einen weiten Katalog an Sanktionsmöglichkeiten.

Vorliegend waren sämtliche Regelverstöße für sich genommen eher geringfügig. Entscheidend ist letztlich, dass der Schiedsrichter nach seiner eindeutigen Aussage keinen Verdacht eines Betrugsversuchs gegenüber Bräuning hegte und offenbar auch niemand konkret gestört wurde. Hinzu kommt, dass der dritte Vorfall ein anderer war als in den ersten beiden Fällen. Auch deshalb war es nicht erforderlich, dass auf eine vorherige Androhung nun der Partieverlust folgen "musste". Zuvor kam hier aufgrund dieser Umstände namentlich eine Verkürzung der Bedenkzeit nach Art. 12.9 lit. c) der FIDE-Regeln in Betracht. Es war auch durchaus möglich, dass Bräuning eine solche erste "spürbare" Sanktion ausreichend als Warnung verstanden hätte.

6. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass eine solche Bewertung stets von den Umständen des Einzelfalls abhängt und dem Schiedsrichter grundsätzlich ein Bewertungsspielraum zusteht. Hätte vorliegend der plausible Verdacht bestanden, dass Bräuning über seine eigene Partie spricht oder hätte er (wiederholt) andere Spieler gestört, so wäre eine Partieabnahme durchaus denkbar gewesen. Unterhalb dieser Schwelle eines Betrugsverdachts oder einer nennenswerten Störung dürfte ein Partieverlust aber gemäß Art. 11.7 der FIDE-Regeln nur bei andauernder Weigerung, sich an die Schachregeln zu halten, möglich sein. Dafür wird es aber regelmäßig erforderlich sein, dass außer einer Androhung zunächst weniger schwerwiegende Sanktionen verhängt werden.

II.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 12 SchiedsO.

Alexander Häcker
Norbert Kelemen
Marc Stuckel