Schiedsspruch des BSG Ostalb zu Art 10 Fide-Regeln

Veröffentlicht am: 28.02.2011 von Holger Schröck in: Schachbezirk Ostalb » Offizielles Drucken

Schiedsspruch

In der Protestsache

SF
-Protestführer –

Beteiligte:

hat das Bezirksschiedsgericht durch die Beisitzer Heinz Mück, Gerd Bofinger, sowie den Vorsitzenden Harald Baiker am 3.1.2011 folgenden Schiedsspruch gefällt:

1. Der Protest gegen die Entscheidung der Bezirkspielleitung vom 15.11.2010 zur Spielwertung des am 31.10.2010 in der Bezirksliga West zwischen dem Protestführer und SF erfolgten Schachpartie am Brett des Mannschaftskampfs wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. Protestgebühren werden nicht erhoben.

Begründung

I. Sachverhalt

Am 31.10.2010 fand in der 3. Runde der Bezirksliga West der Mannschaftskampf zwischen der SAbt. gegen den SV statt. In der Partie am 3. Brett hielt für den SV spielende Protestführer (im folgenden abgekürzt: PF ) 11 Sekunden vor dem Ende seiner restlichen Bedenkzeit im 76. Zug als Anziehender die Schachuhr an, rief den Schiedsrichter – den Mannschaftsführer der Heimmannschaft - herbei und reklamierte Remis. Der Schiedsrichter SF lehnte den Antrag ab und entschied auf Weiterspielen. Der Gegner SF und der PF machten anschließend noch je einen Zug, wonach anschließend beim PF das Fallblättchen fiel. Der Mannschaftsführer der Heimmannschaft wertete im Ergebnisdienst an den Verband und in der Spielberichtskarte das Spiel am 3. Brett für den PF als verloren bzw. für den SF als gewonnen.

Auf der Grundlage dieser Wertung endete der Mannschaftskampf mit 5 : 3 Brettpunkten für die SAbt.

Der PF legte die Wertung seiner Schachpartie mit dem Ziel, eine Wertung der Partie als Remis zu erreichen , Einspruch ein, den der Bezirkspielleiter durch Bescheid per E-Mail vom 15.11.2010 zurückwies. Hiergegen legte der PF fristgerecht Protest zum BSG Ostalb ein.

Den Beteiligten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Auf die eingereichten Schreiben und E-Mails des PF vom 19.11., 22.11.2010 und 1.12.2010 , des SV vom 29.11.2010, das Fax des SAbt. vom 6.12.2010, der Bezirkspielleitung vom 15.11.2010 sowie den Notationszettel zum Verlauf der Schachpartie kann Bezug genommen werden.

Zwar hat der Ausgang dieses Schiedsverfahrens keine Auswirkung auf das Mannschaftsergebnis, also den Sieg der SAbt. gegen den SV . Da die mögliche Verschiebung der erzielten Brettpunkte, im Fall eines Schiedsspruch zugunsten des PF, unter Umständen, die Frage des Auf- oder Abstiegs tangieren könnte, sind die beiden Vereine zu beteiligen.

II. Entscheidungsgründe

Der Protest ist unzulässig.

1. Nach der Vorschrift des Art 10.2 Fide-Regeln kann ein Spieler, der am Zuge ist, und weniger als 2 Minuten Restbedenkzeit hat, die Schachuhr anhalten und den Schiedsrichter herbeirufen und „Remis“ reklamieren. Der Schiedsrichter hat anschließend drei verschiedene alternative Möglichkeiten auf diesen Antrag zu reagieren:

a) Er kann die Partie für remis erklären, wenn der Gegner keine Anstrengungen unternimmt, die Partie mit normalen Mitteln zu gewinnen, oder dass die Partie mit normalen Mitteln überhaupt nicht zu gewinnen ist (Art 10.2 a Satz 1 Fide –Regeln)

b) Er kann seine Entscheidung hinausschieben und dem Gegner 2 zusätzliche Minuten Bedenkzeit zusprechen und die Partie dann fortsetzen lassen (Art 10.2 a Satz 2 1.Altern. Fide-Regeln). Nachdem das Fallblättchen gefallen ist, bestimmt der Schiedsrichter das Spielergebnis. Er muss die Partie für remis erklären, falls er zur Überzeugung gekommen ist, dass die Endstellung mit normalen Mitteln überhaupt nicht zu gewinnen ist oder der Gegner keine genügenden Anstrengungen unternommen hat, die Partie mit normalen Mitteln zu gewinnen (Art 10.2 b Satz 2 und Satz 3 Fide-Regeln)

c) Er kann den Antrag ablehnen ( Art. 10.2 a Satz 2 2.Altern. Fide-Regeln ).

Die Mitglieder des BSG in der oben genannten Besetzung haben anhand des Notationszettels die streitige Schachpartie nachgespielt.

Hiernach und auch nach den einschlägigen Schachprogrammen ist, sowohl in der reklamierten Stellung im 76. Zug:

Weiss: K a4, Lf7

Schwarz : Ba3, Kb2, Se1,

als auch in der Endstellung im 77. Zug:

Weiss: Ka4, Lg8
Schwarz: Ba3, Kb2, Sd3

von einer Remisstellung auszugehen ((http://shrederchess.de/online-schach-datenbanken/endspiel-datenbank.html).

Wenn der Anziehende entweder mit seinem König zwischen a4 und b4 ,bzw. mit seinem Läufer zwischen g8 und f7 pendelt, ist nicht zu erkennen, wie der Nachziehende gewinnen könnte.

Nur wenn der Anziehende auf ein mögliches Springer-Schach von Sd3 – Sc5 + durch einen groben Fehlzug mit dem König die 4. Reihe verlässt (wodurch die Wendung Sc5-Sb3 und damit die Verdeckung der Läuferdiagonale g8-a2 möglich wird), ist eine Gewinnmöglichkeit gegeben.

Angesichts der DWZ-Zahl des PF (1522) und der geringen Auswahl von Zugfolgen, geht das BSG nicht davon aus, dass dem PF ein derartiger Patzer unterlaufen wäre. Zudem hat der PF nach seinen Angaben in der Protestbegründung, diese von ihm vorgesehene weitere Zugfolge nach der Partie dem Schiedsrichter erläutert und hierauf auch in seiner Einspruchsschrift an den Bezirksspielleiter hingewiesen.

Es gab daher für Schwarz keine Gewinnmöglichkeit unter „normalen Mitteln“ im Sinne des Art 10.2. Fide-Regeln. Der Wortlaut der Vorschrift bezieht sich erkennbar auf „eigene normale Mittel“ und schließt damit auch aus, dass damit die Hoffnung auf grobe Fehlzüge des Gegners mit umfasst sein soll.

Wenn der Schiedsrichter im Zeitpunkt der Reklamation nicht sicher von einer Gewinnmöglichkeit mit normalen Mitteln ausgehen kann, andererseits auch nicht sicher von einer Remisstellung ausgeht, muss er seine Entscheidung nach der o.g. Vorschrift hinausschieben und dann, gegebenenfalls. nach Beendigung der Partie ,(in Ruhe) seine endgültige Entscheidung vornehmen.

Die vorliegende Entscheidung des Schiedsrichters, der den Wettkampf nach den Fide-Regeln zu leiten hat (§ 4 Ziff. 3 WTO des SVW i.d. Fassung vom 27.6.2009), den Antrag des PF abzulehnen und weiterspielen zu lassen, war objektiv falsch, da nach den obigen Ausführungen eine Gewinnmöglichkeit des Nachziehenden mit normalen Mitteln eindeutig nicht mehr bestand. Die (einzig) richtige Entscheidung wäre gewesen, der Remis-reklamierung statttzugeben oder die Entscheidung aufzuschieben und weiterspielen zu lassen.

2. Dennoch ist das BSG der Auffassung, dass der Protest aus nachfolgenden Gründen unzulässig ist:

Nach der Vorschrift des Art 10.2 d der Fide-Regeln sind sämtliche Entscheidungen, die ein Schiedsrichter nach Art 10.2. a-c Fide-Regeln trifft, endgültig. Hieraus ist für das BSG unmissverständlich abzuleiten, dass derartige Schiedsrichterentscheidungen nicht anfechtbar, also im Rahmen eines schiedsgerichtlichen Verfahrens, nicht angreifbar sind, auch wenn die Entscheidung des Schiedsrichters sich nachträglich als unzutreffend herausstellt.

Bei einer Tatsachenentscheidung, wie im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Regelbestandteil vieler Sportarten. Um das Regelwerk verschiedenster Sportarten praktisch anwenden zu können, ist es notwendig, dass Entscheidungen von Schiedsrichtern sofort wirksam werden, ohne dass ein Wettkampfteilnehmer dagegen Einspruch einlegen kann. Auf die entsprechenden Regelwerke im Fußball, Handball, Eiskunstlauf, Fechten, usw. kann verwiesen werden. Diese Regelungen dienen dazu, einen kontinuierlichen Spielbetrieb aufrecht zu erhalten. Es sei nur auf die seit Jahren bestehende Diskussion im Fußballbereich zur (nach wie vor von der Mehrheit abgelehnten) Einführung des Video-Beweises, hingewiesen, wenn fragwürdige Schiedsrichterentscheidungen beklagt werden.

Es ist festzuhalten, dass ein Tatsachenentscheid eines Schiedsrichters regelmäßig eine subjektive Interpretation des Spielstands darstellt und deshalb von den Vereinen bzw. den einzelnen Mitgliedern nicht angefochten werden kann, insbesondere, wenn dem Schiedsrichter, wie hier, mit drei verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten nach Art 10.2 a-c Fide-Regeln, ein persönlicher Ermessensspielraum zum Spielstand einer Schachpartie zusteht.

Auch fehlerhafte auf unzutreffender Regelanwendung beruhende Schiedsrichterentscheidungen in der Endspurtphase des Art 10.2 Fide-Regeln sind daher nicht anfechtbar. Dies gilt auch für Entscheidungen unterhalb der Schachoberliga, wenn der gastgebende Verein den Schiedsrichter stellt (§ 4 Ziff. 2 WTO). Hieraus ist, entgegen der Auffassung des SV Schorndorf, nicht zu unterstellen, dass dieser Schiedsrichter in seinem Handeln immer parteilich , befangen und einseitig ist und ,abweichend von den Vorschriften der Fide und der WTO , seine Entscheidungen regelmäßig und vorsätzlich zugunsten seiner Heimmannschaft trifft.

Die Grenze der Akzeptanz selbst grober Fehleinschätzungen eines Schiedsrichters nach dieser Vorschrift des Art 10 Ziff. 2 a-c Fide-Regeln dürfte lediglich im Willkürbereich anzusiedeln sein, also bei offensichtlichem und absichtlichem , durch keinen Anhaltspunkt gerechtfertigten einseitigen Verhaltens bzw. Regelauslegung des Schiedsrichters zugunsten seines Heimvereins.

Ein derartiger Fall sieht das BSG nicht als gegeben an. Der Schiedsrichter hat hier in einer hochemotionellen Schlussphase eine spontan von ihm geforderte Abschätzung der Partie angestellt und sich offenbar von dem Gedanken leiten lassen, dass, mit einem Bauer auf dem Spielfeld und mit dem ,gegenüber dem weißen Läufer, beweglicheren, schwarzen Springer, noch eine Gewinnmöglichkeit bestehe. Für ein vorsätzliches grob unsportliches Verhalten des Schiedsrichters sind keine Anhaltspunkte vorhanden. Die schriftliche Erklärung des Schiedsrichters (undatiert), eingegangen per Fax am 6.12.2010 und das E-Mail vom 5.11.2010 an den Bezirkspielleiter lässt den Schluss zu, dass der Schiedsrichter dieser Fehleinschätzung der Partiestellung unterlegen ist oder ihm die weitere Möglichkeit nach den zitierten Fide-Regeln, statt auf Remis zu entscheiden oder den Antrag abzulehnen, seine Entscheidung aufschieben zu können, um später zu entscheiden, nicht bekannt oder nicht bewusst war.

Da mangels Anfechtbarkeit der Schiedsrichterentscheidung eine Korrektur des Spielergebnisses nicht gegeben ist, verbleibt es beim Sieg des SF , da der PF innerhalb der ihm zur Verfügung stehenden Bedenkzeit von 3 Stunden nicht alle Züge ausgeführt hat, die für den Gewinn der Partie nach Art 1.2 der Fide-Regeln („Matt“) oder für ein Remis nach Art 1.3 oder für eine Stellung nach Art 6.9 Satz 2 Fide-Regeln erforderlich sind.

3. Kostenentscheidung

Das BSG hat über die Kosten des Protests nach billigem Ermessen zu entscheiden, wobei grundsätzlich bei Zurückweisung des Protests der PF die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Aufgrund der genannten Besonderheiten dieses Protestfalls, insbesondere der grundsätzlich nicht gegebenen Anfechtungsmöglichkeit derartiger Schiedsrichterentscheidung, auch bei objektiv unzutreffenden Schiedsrichterentscheidungen, vertritt das BSG die Auffassung, dass ausnahmsweise der PF nicht mit Verfahrenskosten belastet werden sollte. Im Fall der Rechtskraft dieser Entscheidung ist daher die Protestgebühr aus der Bezirkskasse an den PF zurück zu erstatten.

4. Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Schiedsspruch ist für die Verfahrensbeteiligten das Rechtsmittel der Berufung möglich, die innerhalb von 10 Tagen nach Zugang des Schiedsspruchs in dreifacher Fertigung beim Vorsitzenden des Verbandsschiedsgerichts Prof. Dr. Dr. Rolf Gutmann, Zeppelinstr. 6, 73614 Schorndorf, eingegangen sein muss.

Heinz Mück
(Beisitzer)

Harald Baiker
(Vorsitzender)

Gerd Bofinger
(Beisitzer)